Für den Fischer ist entscheidend, wie viel am Ende des Tages im Netz ist. Die Wissenschaftler wollen wissen, wie groß der Bestand ist. Doch die Statistiken in der Krabbenfischerei haben ihre Tücken.

„Alles fing an mit einer E-Mail“, berichtet Dr. Kim Hünerlage vom Thünen-Institut in Bremerhaven. „Ein Fischer hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass der Umrechnungsfaktor nicht stimme. Mit diesem Wert berechnen die Fischer, wie viel die Krabben vor dem Kochen an Bord gewogen haben.“ Der Wert ist wichtig – zum Beispiel für die Fangstatistiken der Kontrollbehörden, das Bestandsmanagement beim Marine Stewardship Council und natürlich Berechnungen der Forscher. Denn entscheidend ist für die Wissenschaft nicht, wie viel Krabben die Fischer an die Kaikante gestellt haben, sondern wie viel Lebendgewicht dem Meer entnommen wurde. Wie entwickelt sich der Krabbenbestand? Wie viele Elterntiere sind in den Weiten der Nordsee versteckt? Für diese Fragen ist das Lebendgewicht entscheidend. Über das Logbuch melden die Fischer also das geschätzte Lebendgewicht ihres Fangs jeden Tag an die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung – hier laufen alle Daten zusammen.

Lange Zeit haben die Fischer mit dem Wert 1,18 gerechnet. Eine Transportbox mit 10 Kilo gekochter Krabben entsprach 11,8 Kilo frischer Ware. „Wo dieser Umrechnungsfaktor herkam, wer diesen in der Vergangenheit aufgestellt hat, konnte mir niemand sagen“, erzählt Dr. Kim Hünerlage. Die Meeresbiologin hat im Labor genau nachgemessen. Sie hat die Krabben vor dem Kochen vermessen und gewogen, sie über Nacht im Kühlschrank gelagert und am nächsten Tag wieder jedes Tierchen vermessen und gewogen. Und tatsächlich – der Fischer hatte Recht. Die Krabben verlieren beim Kochen weniger Gewicht als bisher angenommen. Der tatsächliche Faktor liegt bei 1,07. Eine Box mit 10 Kilo gekochter Garnelen entspricht also nur 10,7 Kilo Lebendgewicht.

Nach der Untersuchung am Thünen-Institut hat die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung den Umrechnungsfaktor jetzt angepasst. So weit – so gut. Das Problem: Jedes Land verwendet einen anderen Umrechnungsfaktor. In den Niederlanden wird mit 1,18, in Dänemark mit 1,0 gerechnet. Dr. Kim Hünerlage sagt: „Da fühlen sich die Fischer natürlich auf den Arm genommen. Das ist einfach nicht zu verstehen.“ Für quotierte Arten wie Scholle oder Hering gibt es eine EU-Verordnung, die die Umrechnungsfaktoren europaweit einheitlich festlegt. Auf eine europaweite Regelung warten die Krabbenfischer bisher vergebens, trotz europäischer Fischereiaufsicht und gemeinsamen Management über den Marine Stewardship Council.

Die Sorge der Fischer ist: Sollte die Krabbe eines Tages auch quotiert werden, sind die Anlandestatistiken der Länder durch die verschiedenen Umrechnungsfaktoren verzerrt. Diese Statistiken sind aber in der Regel die Basis für die Aufteilung der Quoten unter den einzelnen Ländern. Wie groß das Kuchenstück für deutsche, niederländische und dänische Fischer würde, hängt also auch vom Umrechnungsfaktor ab. Im Moment vergleicht man Äpfel mit Birnen. Um die Faktoren anzugleichen, müsste sich der Bund dem Thema annehmen. Ob das Thema in Berlin auf die Agenda kommt, darüber lässt sich im Moment nur spekulieren.

Für Kim Hünerlage steht fest: „Ich hätte nie gedacht, dass es über die Nordseegarnele noch so viel zu erforschen gibt.“ Künftig wird sich die Wissenschaftlerin am Thünen-Institut ganz auf die Krabben konzentrieren können. Ihre Stelle wurde gerade entfristet, sie ist jetzt für den gesamten Bereich Krabbenfischerei im Thünen-Institut zuständig und baut ein Labor auf, um den Lebenszyklus der Tiere genauer zu untersuchen. Von Kim Hünerlage werden die Krabbenfischer also in Zukunft sicher weiter hören.

 

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