Peter de Witt im Gespräch

Wenn er dürfte, würde er sogar noch am Heiligabend seine Netze stricken. Peter de Witt aus Dornumersiel ist mit seinen 74 Jahren einer der letzten Netzmacher Deutschlands. Mit Sicherheit der letzte, der dieses Handwerk mit so viel Leidenschaft ausübt. Gelernt hat er das eher nebenbei, denn von Beruf ist er Fischer, wie sein Vater. Schon als Achtjähriger wartete er im Hafen auf die Schiffe, um beim Flicken der Netze zu helfen. 66 Jahre später kann er die Finger immer noch nicht ruhen lassen. Wir rufen Peter de Witt um halb zehn Uhr morgens an und stören ihn bei seinem zweiten Frühstück.


Guten Morgen! Soll ich später nochmal anrufen?

Peter de Witt: Nein, nein, legen Sie los.

Legen Sie los! Wie fing das an mit Ihrer Leidenschaft für die Netzstrickerei?

Peter de Witt: Das fing ganz früh an. Damals wurden im Winter die Netze von den Kapitänen und Matrosen selber repariert. Wenn die gefrühstückt haben, blieb ich da und wollte weiter häkeln. Da hab’ ich erst mal mehr vertüddelt als geholfen, aber mein Vater hat mich machen lassen. Das war ungewöhnlich für ihn und hat mich deshalb motiviert. Mit etwa zehn Jahren konnte ich dann wirklich Netze stricken. Früher gab es noch Baumwollnetze und da ging fast jeden Tag was kaputt, die Fischer mussten ununterbrochen reparieren. Wenn das draußen passierte, wurde das schnell zusammen gezogen und erst zuhause richtig geflickt. „Englisches stricken“, nannte man das.

Sie sprechen von „häkeln“ und „stricken“ – was ist denn korrekt?

Peter de Witt: Einer sagt stricken, einer sagt häkeln... Meine Frau meint, dass beides falsch ist. Technisch korrekter wäre wohl „knüpfen".

Was für ein Werkzeug benutzen Sie?

Peter de Witt: Eine 25 Zentimeter lange und etwa 8 Millimeter breite Nadel. Die Netze sind aus Nylon. Als ich Matrose war, gab es glücklicherweise schon keine Baumwollnetze mehr. Heute benutzt man zusätzlich zu den Siebnetzen auch noch Schutznetze. Das war früher nicht nötig, die Kutter hatten ja nur 25 PS. Heute haben die 300 PS, das macht die Netze anfälliger. So geht erst das ganz grobe Schutznetz kaputt, das schnell wieder geflickt werden kann.

Sie beraten einige Fischer in Ostfriesland und Schleswig-Holstein, wenn es um die Einstellung der Maschenweiten geht. Ein Beleg für Ihre Erfahrung...

Peter de Witt: Die Maschenweite macht viel aus in der Fischerei. Und das Thema ist wirklich nicht neu. Vor 40 Jahren haben wir auch schon Siebnetze gehabt, aber freiwillig! Anfangs haben wir bis zu 30 Prozent Verlust an Krabben gemacht. Vor vier Jahren hat Dirk Sander mich gefragt, ob ich mit dem Siebnetz mal ein bisschen rumtüfteln kann. Das hab’ ich mit meinem 2,70 Meter Netz probiert, zuerst klappte das nicht so gut, aber es wurde immer besser. Und jetzt mache ich nur noch Siebnetze. Angeblich haben die Krabbenfischer damit viel weniger Verlust. Ich tüftel natürlich weiter, um zu sehen, ob es noch besser geht. Aber jetzt müssen auch mal Jüngere mit frischen Ideen ran.

In der Fischerei wird heute fast alles reguliert, auch den Krabbenfischern werden immer mehr Auflagen gemacht. Wie sinnvoll finden Sie das?

Peter de Witt: Letztes Jahr hieß es, die Maschenweite, der Stert, sollte 13 Millimeter sein. Ich als Fischer würde sagen, das ist Humbug. Das geht nicht. Wenn ich Netze baue, werden die nur noch mit 11 Millimetern gemacht. Die Holländer haben 12 Millimeter, aber auch 6 bis 7 Tonnen Zug. Ihr Geschirr ist sehr schwer und wird mit 3,5 bis 4 Knoten durch das Wasser gezogen. Ihre Netze sind ganz anders gebaut und ziehen so zusammen, dass ohnehin nichts mehr durch geht. Da ist es egal, ob die 12 oder 20 Millimeter groß sind. Aber für die kleineren Kutter, die nur 2 Tonnen ziehen, für die funktioniert das nicht.

Gibt es eigentlich Nachwuchs für Ihr Handwerk?

Peter de Witt: Ganz selten kommen mal junge Leute in die Ausbildung, die ein bisschen was lernen wollen. Die Netze werden immer im Winter gemacht, wir haben die noch selbst gestrickt. Heute gehen die jungen Leute im Winter lieber nach Teneriffa oder Gran Canaria und lassen andere das machen. Bald wird es bei uns aber keine Firma mehr geben, die das macht. Die Holländer bauen noch, aber die sind gewaltig teuer.

Wo stricken Sie ihre Netze?

Peter de Witt: Im Keller! Wenn Sie das sehen, wie es da aussieht... Mein Bereich misst 8 x 3 Meter, die Netze sind teilweise 16 Meter lang, da muss man schon ein bisschen planen, sonst steht alles voll. Wenn die Netze frisch aus dem Meer kommen, muss das draußen bleiben. Das darf nicht mehr rein, sonst bekomme ich Ärger mit meiner Frau.

Wie lange sitzen Sie an einem Exemplar?

Peter de Witt: Wenn ich ein Netz gemütlich, aber nicht zu gemütlich mache, sitze ich 100 Stunden daran. Da kann man sich vorstellen, was meine Frau sagt, wenn ich die ganze Zeit im Keller bin. Aber ich will nächstes Jahr, mit 75, aufhören. Dann werde ich nur noch beraten oder helfen, wenn einer ganz verlegen ist. Aber einmal muss Schluss sein.

Und dann?

Peter de Witt: Ich werde immer mit Leib und Seele Fischer bleiben! Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht, habe von meinem 23. bis zum 56. Lebensjahr Tag und Nacht gearbeitet und keine Minute bereut. Seit vielen Jahren ist die Fischerei nun wieder Hobby. Das wird immer so bleiben. Manchmal lege ich auch Fliesen oder neue Steine in der Einfahrt. Das Gute ist: Ein Fischer kann einfach alles. Dem wird nie langweilig.

Am Ende des Gesprächs reicht er den Hörer weiter an seine Frau Elke, die mir ihre E-Mailadresse geben soll. Ich entschuldige mich, dass ich ihr Frühstück gestört habe. „Kein Problem“, sagt sie. „Der Peter kaut schon wieder“.

JoomlaMan